Erinnerung an die Ausstellung und an die Lesung in der Klinik Rheinau



Dienstag 9. Dezember 2008, Weinland

 Zum Abschluss der Fall Arbenz

 Auf der Suche nach dem Mörder: Verleger Al Leu und Autorin Roswitha Wegmann
bei der Vorstellung des Falles Arbenz.
Bild Jörg Riser 
Roswitha Wegmann las im Psychiatriezentrum Rheinau aus ihrem ersten Kriminalroman.
Sechs Wochen lang (vergl. SN vom 28. Oktober) waren im Psychiatriezentrum Rheinau Bilder
von Roswitha Wegmann und Skulpturen von Marianne Rudolf zu sehen –
zwei individuelle Mythologien, wie die Überschrift lautete.
Am vergangenen Sonntag ging die Ausstellung mit der «Finissage» zu Ende –
und erfuhr gleichzeitig eine, wenn auch sehr kurzlebige Erweiterung:
Roswitha Wegmann, die nicht nur als Malerin, sondern eben auch als Schriftstellerin
in Erscheinung tritt, las nämlich aus ihrem dieser Tage in der Edition Leu, Zürich,
erschienen Kriminalroman «Der Fall Arbenz» und erläuterte darüber hinaus
auch wichtige Stationen der Entwicklungsgeschichte dieses Werkes. 

Es war dabei eine doppelte Première. Der erste Krimi der Autorin ist auch der erste der Edition Leu,
wie Verleger Al Leu erklärte. Der Start zu einer eigentlichen Krimireihe ist sozusagen
ein Geschenk zum 30-Jahr-Verlagsjubiläum, obschon das Bedürfnis nach einem geordneten Ausflug
in kriminelle Machenschaften offensichtlich alt ist. Eine Krimireihe sei, nach entsprechenden Reihen
zu Prosa, Lyrik, Wissenschaft oder Materialien, «ein lange gehegter Wunsch» gewesen, meinte Leu,
der auch auf das Wesen des Kriminalromans einging, der von der Alltagsproblematik lebe und
von den menschlichen Abgründen, die sich plötzlich unter einer mehr oder weniger gewohnten Idylle öffnen.
Oder, wie Leu den Grossmeister des Metiers, Georges Simenon, zitierte:
«Am Morgen geht man als gewöhnlicher Bürger aus dem Haus. Am Abend sitzt man als Mörder in Untersuchungshaft.»

Nun, Roswitha Wegmann hat mit dem Fall Arbenz einen raffiniert komponierten Roman
mit viel Lokalkolorit und einem rasanten Handlungsablauf vorgelegt:
Felix Arbenz wird beschuldigt, seine Frau und seinen Bruder ermordet zu haben.
Allerdings ergeben sich Ungereimtheiten, die das Kripo-Duo Marcel Monet und Aaron Goldstaub
Schritt für Schritt durchkämmen. Schliesslich offenbart sich die Wahrheit, die hier, natürlich,
verborgen bleibt. «Neue Ideen und neue Perspektiven» attestierte der Verleger seiner Autorin,
die übrigens bereits mit einem weiteren Krimi beschäftigt ist und die ihre Romanfiguren,
auch die kleinste Nebenrolle, auf der Leinwand portraitierte.
Man kann eben ein wenig mehr bieten, wenn man wie Roswitha Wegmann
in unterschiedlichen Metiers zu Hause ist. (J. R.)             
 










Laudatio
Al'Leu – Publizist und Bildhauer, Zürich


Psychiatriezentrum Rheinau
Zwei individuelle Mythologien:
Roswitha Wegmann und Marianne Rudolf

Der Begriff „Individuelle Mythologie“, mit dem diese Ausstellung hier
in der Rheinau überschrieben ist, widerspricht genau genommen sich selbst, weil Mythologie eine kollektiv weitergegebene Geistesleistung ist, deren Wesen neben längst vergangenen Ereignissen vor allem auch durch Umdeutung, Bewertungsverschiebung und Erinnerungsvermischung geprägt wurde. Hier sind auch die Berührungs- und Brennpunkte zu jenen Vorstellungen, die C.G. Jung in seiner Theorie über das „Kollektive Unbewusste“ freigelegt hat. Die Bezeichnung „Individuelle Mythologie“ stammt aus dem Anfang der siebziger Jahre und meint etwas entschieden anderes: Der Begriff kreist eine Kunstauffassung ein, in der Künstlerinnen und Künstler in ihren Werken privates und biografisches Material so aufarbeiten, dass dadurch Werke entstehen, welche auf sehr persönliche Art hochgradig mythologische Qualitäten generieren. Wie bereits angedeutet, sind mythologische Inhalte keine festen Begriffe, sondern so etwas wie Zeit und Ereignisse durchdringende Subjektivitätsformulierungen, die sich teilweise weit vom klassischen Wissensbegriff entfernen, und gerade dadurch zu universalen Erfahrungen führen können. Diese Umschreibung wirkt theoretisch. Kunstschaffende formulieren diese Erfahrungen mittels Bildern, verschmelzen und verdichten im Stofflichen und Formalen ihre individuellen Erfahrungsbereiche. Die heute vorgestellten Künstlerinnen sind ein anschauliches Beispiel dafür. Durch die Ausstellung von Roswitha Wegmann und Marianne Rudolf geistert das Konzept der „Konfrontation zweier Welten“. Auf der ersten Ebene findet eine Gegenüberstellung von Malerei und Plastik statt, und zeigt die materialbedingte Verschiedenartigkeit der Ausdrucksmöglichkeiten dieser höchst unterschiedlichen Darstellungsmedien und ihrer Techniken. Der Wechselbeziehung zwischen den illusionsschaffenden malerischen Techniken und dem physikalisch weitgehend ungebundenen Sein der Malerei wird der raumbesetzende und materialbezogene Charakter der Plastik gegenübergestellt. Die poetisch-dramaturgische Bilderwelt von Roswitha Wegmann und die zeichenhaften Verschlüsselungen von Marianne Rudolfs Plastiken und Reliefs fordern von der Betrachterin und dem Betrachter die Fähigkeit zur Interpretation. Marianne Rudolfs Bildhauerwerke wecken in ihrer symbolhaften Charakteristik Assoziationen zu archaischen Kulturen. Roswitha Wegmanns Bildthemen sind geprägt von der Dynamik und Ereignisvielfalt der Moderne und ihren Widersprüchen. Marianne Rudolf erinnert  mit zeichenhaften, klar formulierten Reliefs und Plastiken, die ihre Aussagen zeichenhaft verdichten, an die Kargheit der Bergwelt. Auch hier findet sich eine formale Konfrontation: Der statuarischen Bewahrung und an vielschichtige Vertiefung erinnernden dreidimensionalen Formulierungen von Marianne Rudolf steht die Emotionsbezogenheit und das starke Interesse am Schicksalshaften von Roswitha Wegmanns Bildschöpfungen gegenüber. Trotz höchst unterschiedlicher Darstellungsart ist beiden Künstlerinnen das Vielschichtige und Bedeutsame wichtig. Ihre Suche nach dem Sinn des Seins lässt eine individuelle Mythologie entstehen, die auch ins Magische und vor allem ins Geheimnisvolle führt…



Marianne Rudolf, Roswitha Wegmann und Al'Leu


Bericht über die Ausstellung:



Zwei individuelle Mythologien
Roswitha Wegmann und Marianne Rudolf
stellen im Psychiatriezentrum Rheinau aus.

Das Psychiatriezentrum Rheinau bemüht sich (erfolgreich überdies)
auf vielfältige Art und Weise um «Offenheit» –
kulturelle Anlässe gehören dabei sozusagen zur Grundausstattung,
weshalb die Gemeinde Rheinau wohl auf ein vergleichsweise überdurchschnittliches kulturelles Leben stolz sein kann.
Am vergangenen Sonntag nun wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen:
Zu sehen sind Werke der Malerin Roswitha Wegmann
und der Bildhauerin Marianne Rudolf.
«Zwei individuelle Mythologien» –
so ist die Ausstellung überschrieben, und darauf nahm an der Vernissage am vergangenen Sonntagabend nach der Begrüssung durch Esther Weisshaar und der musikalischen Begleitung von Regina Kaeser auch Al Leu Bezug, der in das Werk der beiden Künstlerinnen einführte. Der Begriff der individuellen Mythologie, machte er deutlich, kreise eine Kunstauffassung ein, in der Künstler privates und biographisches Material so aufarbeiteten, dass dadurch Werke entstünden, welche auf sehr persönliche Art hochgradig mythologische Qualitäten generierten. Nun haben wir es hier natürlich mit künstlerischen «Subjektivitätsformulierungen» zu tun, die sich, wie Leu betonte, teilweise vom klassischen Wissensbegriff entfernten,
aber gerade dadurch zu universalen Erfahrungen führen könnten.
Die Gegenüberstellung von Malerei und Plastik bewirkt einen weiteren interessanten Reiz: hier eine poetisch-dramaturgische Bilderwelt,
wie Leu meinte, da Bildhauerwerke mit symbolhafter Charakteristik,
die Assoziationen zu archaischen Kulturen wecken.
Eine Konfrontation zweier Welten, denen allerdings die Suche nach dem Vielschichtigen und dem Bedeutsamen gemeinsam ist. So fliessen unterschiedliche Seinsweisen in den Werken der Künstlerinnen zusammen, gehen ineinander über. Bei Wegmann offenbart sich das in Metamorphosen, in denen sich Landschaft zu Gesichtern und Figuren wandelt und umgekehrt, der Himmel Fabelwesen umschmeichelt, sich Traumgebilde materialisieren. Die Bildüberschriften sagen schon viel:
Ein «Spiegel zum Jenseits» ist beispielsweise im Psychiatriezentrum
zu sehen, «Paulas Traumflug», die «Prinzessin von Atlantis», «Transzendental», die «explosive Urkraft» oder die «All-Zeit». Vielschichtig und vielgestaltig auch die Skulpturen
von Marianne Rudolf mit exemplarischen Titeln wie
«Metapher», «Enigma» oder «Lili Marlen», «Herkules» und,
ein anderes Beispiel, dem Werk «Das Huhn mit den drei Schnäbeln».
Wie sagte Al Leu: Die Suche der Künstlerinnen nach dem Sinn des Seins lasse «eine individuelle Mythologie entstehen, die auch ins Magische
und vor allem ins Geheimnisvolle führt».
Tatsächlich, und die Werke sind gut aufgehoben in einem Umfeld,
in dem auch die Geheimnisse der Seele blühen. (J. R.)