Laudatio Al'Leu:


Sehr geehrte Damen und Herren

Zur Kollegium 78-Ausstellung von Martina Leu, Roswitha Wegmann und Eva Zürrer
begrüsse ich Sie im Namen der Künstlerinnen und der Veranstalter.

Persönlich danke ich Bruno Wegmann, der mit bewundernswertem Einsatz
das Zustandekommen dieser Ausstellung ermöglicht hat.

Drei Frauen, drei verschiedene künstlerische Temperamente, drei unterschiedliche Weltanschauungen
finden hier zu einer Werkpräsentation zusammen, die auf ideale Weise den Geist des Kollegiums 78 verkörpert:

Verschiedenartige künstlerisch tätige Menschen mit oft konträren Vorstellungen von Kunst,
finden zum gemeinsamen Malen, Zeichnen und Bildhauern zusammen,
um in der darstellerischen Vielfalt dieser Gruppe eine Bereicherung und Erweiterung
des eigenen visuellen Denkens und bildnerischen Könnens zu erfahren.

Martina Leu
Glattpark / Opfikon

Ein Teil von Martina Leus Schaffen ist der figürlichen Skulptur und Plastik gewidmet.
Ihre bildhauerischen Werkstoffe sind Marmor, Sandstein, Alabaster, Steatit und Gips.
Die hier gezeigten Steatit-Skulpturen setzen sich mit den Möglichkeiten der „freien Form“ auseinander.

Bei ihren freien Formen lässt sich Martina Leu vom gebrochenen Stein inspirieren.
Sie entwickelt aus der vorgegebenen Formsituation Skulpturen, die ausserhalb eines Naturvorbildes stehen.
Rhythmus, Linienführung und Proportion sind Begriffe, die das Wesen von Martina Leus Werken prägen.

Das Zentralanliegen ihres Schaffens ist, dass ihre Kompositionen als „imaginäre Bewegung im Raum“ funktionieren.
Die „Freie Form“ ist in der Bildhauerei kein klar umrissener Begriff,
sondern das Ergebnis der Selbstorganisation situativer Intuition und Emotion im Schaffensprozess.
Die freie Form weist grundsätzlich keine metaphorische Deutbarkeit auf.

Sie ist also weder Symbol noch Sinnbild, sondern reine Präsenz ihrer Eigen-Gesetzlichkeit.
Sie ist so gesehen werkimmanente Darstellung der Skulptur im reinsten Sinn des Wortes.
Die Form entsteht aus dem spielerischen Umgang mit den plastischen Möglichkeiten des ausgewählten Steins.

Dieser anfänglich lockere Umgang mit der Form wird durch die spontanen Formakzentuierungen am Stein 
zunehmend auf die Möglichkeiten der zu realisierenden Endform herangeführt.
Es entwickeln sich Eigengesetzlichkeiten in der Realisierung der Volumen, der Linienführung, der Flächenrhythmik
und der Komposition mit konstruktiven und organischen Formteilen und deren haptischen Qualitäten.
Sie sind die Aspekte, die situativ in die Skulptur integriert werden müssen.

Die Textur, also die Oberflächenbeschaffenheit und die Struktur, das heißt der Aufbau des Materials
werden durch das sorgfältige Schleifen zu einer harmonischen Einheit.

Martina Leus Steatit-Skulpturen wecken Assoziationen an geologische Formationen und Prozesse wie Schichtungen,
Faltungen, Abreib- und Abschleifspuren, Terrassierungen und Stufungen.

Ihre Skulpturen sind keine Reißbrett-Kreationen.

Sie sind das Ergebnis von Einfühlung in das und Inspiration durch das bruchrohe Material.
Sie werden in einem mehrstufigen Reduktionsprozess zu ästhetischen Objekten der Kunst,
in denen die Schönheit der Natur eine ständige Begleiterin ist.

 

Roswitha Wegmann
Bassersdorf

Roswitha Wegmanns Malerei ist von einem Kunstverständnis geprägt, das auf surrealistische,
phantastische und magisch-realistische Darstellungsarten verweist.

In den Werken von Roswitha Wegmann ist der Begriff „Zeit“ ein wichtiges Thema.
Sie wird als eine Schicksalskraft erlebt, der das Individuum nichts Ernstzunehmendes entgegenzusetzen hat.
Sie wird als eine vorwärtstreibende Kraft erlebt, die den Menschen in das Kommende,
in das Ungewisse und in das Unvorhersehbare drängt.

In ihr ereignet sich die Gegenwart des menschlichen Daseins in all seinen emotionalen Erlebnismöglichkeiten.

Das Individuum wird aber permanent aus dem Jetzt in die Vergangenheit befördert.

Emotionale Höhenflüge, Zwänge und vielfältige Ängste verdichten sich zu jenem undurchschaubaren Vorgang,
den wir abstrakt „das Leben“ nennen.

Hinter der Gegenwart bildet sich das Sediment der Lebensgeschichte aus Erinnerung, Verdrängung,
verpaßten Gelegenheiten, geheimen aber nie erfüllten Wunschvorstellungen und schicksalhaften Ereignissen,
die nachträglich oft zweckrational verklärt auch zur Lebenslüge werden können.

Ein zweites großes Thema in Roswitha Wegmanns bildnerischer Tätigkeit ist „das Tier“ und die oft defizitäre Beziehung
der Menschen zum kreatürlichen Sein.

In einem Teil von Roswitha Wegmanns Bildern erscheinen im Antlitz des Tieres oft menschliche Wesenszüge
und hin und wieder glaubt man in den Menschengesichtern einen Anflug des Tierischen zu ahnen.

Diese gegenseitigen Überblendungen scheinen mir bemerkenswert, denn sie bewegen sich auf einer
besonders subtilen Ebene des transformativen Erlebens.
Das Überblenden, Verschieben und Verlagern des Realen charakterisiert viele von Roswitha Wegmanns Bildern:
Das Reale gleitet über ins Traumhafte.

Das Sinnbildliche weitet seine Aussagesubstanz bis ins Transzendale, wo das Licht alles Stoffliche tendenziell entkörpert,
um auf Ebenen hinter dem Sichtbaren zu verweisen.

 

Eva Zürrer
Riedt-Neerach

setzt sich in ihrer malerischen Tätigkeit immer wieder mit der Stofflichkeit des Materials auseinander.
Mit dem Experimentieren mit Pigmenten, Ölen, Sand, Pasten und unkonventionellen Malmitteln
öffnet sie sich neue darstellerische Möglichkeiten und erschliesst gleichzeitig für sich thematisches Neuland.

Einen Teil ihrer Bilder bezeichnet die Malerin als „abstrakte Farbenspiele“.
In ihnen nimmt sie intuitiv Eingriffe vor, um auch das Zufällige im malerischen Prozess aufzugreifen,
welches sie in ihren Kompositionen integriert.

Die abstrakt-expressive  Malerei erlaubt ihr große künstlerische Freiheit, lässt optimalen Raum für ihre Fantasie,
verlangt aber auch Entscheidungskraft über das Sein oder Nichtsein eines Motivs.

Die abstrakte Malerei verlangt emotionale Improvisationsfähigkeit und formale Intuition,
die auch die Schattenseite, „das Scheitern“ als Risiko und ständigen Begleiter des Schaffensprozesses akzeptiert.

Das gegenständliche Malen ist für Eva Zürrer so etwas wie ein  künstlerischer Gegenpol,
aber gleichzeitig auch eine Verankerung auf der Ebene der nachvollziehbaren Kontrolle
des Könnens und Darstellens realer Bildmotive, wie beispielsweise das besondere Licht einer Landschaft,
die differenzierten Schattenspiele eines Hinterhofes oder die Umsetzung der farblichen Energie eines Mohnfeldes.

Gegenständlich oder abstrakt sind für Eva Zürrer nicht unvereinbar künstlerische Positionen,
sondern zwei verschiedene Darstellungsformen, um ihr künstlerisches Schaffen zu erweitern und somit auch zu bereichern.

 

Al’Leu

Publizist, Glattpark



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