Nachdem Chris ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte, brach Kurt sein Schweigen und wurde aus der Psychi entlassen. Er besuchte mich und fragte, ob ich Tschibeli noch eine Weile betreuen würde, bis er in der Wohnung und der Boutique Ordnung geschaffen habe. Eine Woche blieb ihm Zeit, dann durfte seine Mutter nach Hause kommen. Natürlich willigte ich sofort ein. Der kleine Racker war mir bereits an Herz gewachsen.
An einem Nachmittag schaute Gzime bei mir rein und sagte: »In zwei Wochen wird Kevin aus dem Spital entlassen. Der Hochzeit steht nichts mehr im Weg.« Sie beugte sich vor, nahm meine Hand, strahlte mich mit ihrem unvergleichlichen Blick an und fragte: »Würdest du mit mir aufs Standesamt kommen und Trauzeugin spielen?«
»Das kommt jetzt ein bisschen plötzlich«, grummelte ich, »aber wenn dir so viel daran liegt, kann ich nicht nein sagen.«
Inzwischen war Madeleine Schwitzgebel wieder daheim. Ohne ihre Kriegsbemalung gefiel sie mir wesentlich besser. Sie war auch nett gekleidet. Dankbar drückte sie ihren Kater und mich an ihren schon weniger üppigen Busen. Mit Rotsock und mir zusammen transportierte sie ihren Liebling in ihr Heim, das vor Sauberkeit und Ordnung nur so strahlte.
Wir tranken zusammen Tee und schauten ihrem Sohnemann bei seiner Arbeit zu. Staunend beobachtete ich seine flinken Finger und lauschte dem leisen Klappern der Stricknadeln. Sein verklärter Gesichtausdruck zeigte, wie konzentriert und ernst er bei der Sache war. Seine Mutter war ganz in die Betrachtung ihres Sohnes vertieft. In diesem Moment strahlte ihr Wesen eine Art Unschuld aus und sie wirkte hübsch in ihrer Natürlichkeit. Zum ersten Mal trug sie ihre wahre Seele zur Schau.
In diesem Raum erinnerte nichts mehr an den Überfall. Ein flaues Gefühl in der Magengrube meldete sich trotzdem, wenn ich an de Horror dachte. Gedankenverloren ging ich über den Hof, betrat meine Wohnung. Ich vermisste den Schnurrekater, der mir so viel Zuneigung gegeben und mich zur Besinnung gebracht hatte. Ich arbeitete wieder am Kiosk und so flutschten die Tage nur so dahin. Die Garderobenfrage für den großen Tag war auch geklärt. Ich entscheid mich für ein hellgraues Kostüm, das Gzime sehr gut gefiel.
Wir hatten uns vor dem Standesamt verabredet. Ich war zu früh da, suchte im Windfang des Hauses Schutz, damit mein sorgfältig frisiertes Haar nicht zerzauste. Die Sonne schien, aber es war kühl. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Mein Geschenk an das Brautpaar war nicht sehr originell. Gegenüber im Hotel Engel hatte ich einen Tisch für vier Personen reserviert und ein feudales Mittagessen bestellt. Nervös griff ich in meine Jackentasche, fühlte erleichtert das kleine Präsent für Gzime. Ich wollte ihr eine kleine goldene Flamme schenken, wie ich selber eine am Ohr trug.
Ein Taxi fuhr vor. Mit gemischten Gefühlen sah ich zu, wie das Brautpaar und eine adrette Brünette aus dem Wagen stiegen. Linkisch trat ich dem Trio entgegen. Von Gzime bekam ich einen flüchtigen Kuss auf die Wange, Stoller drückte meine Hand und stellte mir die Brünette als Alice Denzler vor. Die Philosophin war also die zweite Trauzeugin. Ich kam gar nicht dazu, Unsinn zu stammeln. Wir rannten die Stufen hoch in den 1. Stock, wo der Standesbeamte schon auf uns wartete.
Wir setzten uns auf die Stühle vor dem Schreibtisch. Neben mir Alice, dann Kevin und Gzime. Die nüchterne Atmosphäre im Raum erinnerte mich an meine eigene Trauung mit Guido Zappa. Wie himmelte ich diesen Mann an, der nun als Mörder im Gefängnis schmorte. Auf einmal war die Zeremonie zu Ende. Benommen setzte ich meine Unterschrift auf das Dokument. Wenig später überquerten wir die Straße, betraten das Hotel Engel, wo wir vom Personal herzlich empfangen und mit Aufmerksamkeit überschüttet wurden. Der kulinarische Genuss versetzte uns in redselige Stimmung. Kommissar Kevin Stoller und Alice Denzler boten mir das Du an. Während die beiden einen feinen Tropfen Wein genossen, tranken Gzime und ich Wasser. Dank ihr war ich nicht verlegen, nur mit Wasser an die mit Rotwein gefüllten Gläser auf das Du anzustoßen. Als das Dessert geschmaust war, bedankten sich Kevin und Alice bei mir überschwänglich und verabschiedeten sich.
Verdutzt schaute ich ihnen nach.
»Mach die Klappe zu, Angelina. Kevin ist mein Freund, das weißt du doch«, sagte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. »Hübsch, das Flämmchen an deinem Ohr.«
»Ja, aber … Du weißt doch ganz genau, dass ich dachte …«
»Kevin und ich würden heute heiraten? Du regst dich ja richtig auf«, grinste sie, »und süß siehst du aus, wenn du so in Rage bist. Hättest du auf dem Standesamt aufgepasst, wüsstest du schon lange, wer zu wem gehört.«
»Du nervst, Gzime.«
Aufreizend langsam beugte sie sich zu mir vor, nahm meine Hände in ihre und sagte leise: »So, so, ich nerve dich. Und weshalb ich dich nerve wirst du mir bestimmt gleich erklären.«
»Du hast mich absichtlich an der Nase herumgeführt, deshalb. Ich habe meine Scheidung eingereicht.«
Kaum hatte ich meine zusammenhanglose Rede fertig gestottert, fühlte ich Hitze in mir aufsteigen, wurde verlegen wie ein Schulmädchen, glaubte, meine innersten Gefühle verraten zu haben. Hastig griff ich in meine Jackentasche und klaubte das Päckchen hervor und legte es vor Gzime auf den Tisch.
»Für mich? Du gibst es mir trotzdem oder gerade deswegen, ja?« Der leise Spott wich aus ihrer Stimme. »Lieb von dir, danke, Angela.«
Ein paar Sekunden wog sie das Präsent in ihrer Hand, bewunderte die hübsche Schleife. Vorsichtig nahm sie das Band ab, öffnete den Deckel.
»Oh, wie schön!«, flüsterten ihre sinnlichen Lippen. »Das Flämmchen kann ich nur annehmen, wenn in dir zumindest ein kleines Feuerchen für mich brennt.«
»Verzeih, Gzime, ich stehe mir heute dauernd selber auf der Leitung. Wie meinst du das?« Meine Stimme klang rau und mein Herz machte Sprünge.
»Dich würde ich vom Fleck weg heiraten, Angel-Baby.«
Ich schnappte nach Luft und brachte kein Wort heraus.
»Also, Honey«, sagte sie, »ich habe mich unsterblich in dich verliebt. Ich frage dich, willst du dein Leben mit mir teilen? Wenn du mir das Flämmchen an mein Ohr hängst, sind wir verlobt. Packst du es weg, sind wir einfach Freundinnen, okay? Lass dir Zeit für deine Entscheidung, ich meine es ernst.«
Sie steckte das Schächtelchen in meine Jackentasche zurück und lächelte. Eine Sekunde ertrug ich ihren dunklen Blick, dann flatterten meine Lider. Eigentlich freute ich mich, zugleich aber breitete sich eine schreckliche Leere in mir aus. Solange Gzime für mich unerreichbar war, träumte ich von der Zweisamkeit mit ihr.
Meine innere Not fühlend, sagte sie ruhig: »Du hast viel durchgemacht in letzter Zeit. Ich habe dich mit meinem Antrag überrumpelt. Bring die Scheidung und die Enttäuschung deiner gescheiterten Ehe hinter dich. Meine letzte Beziehung zerbrach an meinem Beruf, den ich auch für dich nicht aufgeben würde. Wie auch immer du dich dann entscheidest, ich liebe dich und nehme, was dein Herz zu geben bereit ist.«
Eine Woche horchte ich in mich hinein, dann wusste ich, dass ich zu Gzime gehörte. Wir trafen uns im Hotel Engel. Ich hängte ihr das Flämmchen ans Ohr und strahlte sie an. Nach einer herzlichen Umarmung besprachen wir unsere Zukunft. Ich hatte viel zu regeln.
Meine Scheidung war reine Formsache. Den Kiosk übernahmen Isolde, Carmen und Omar mit Handkuss. Drei Monate musste ich mich in Geduld üben, dann zog ich bei Gzime ein und mein Appartement übernahm ein Student, der sich als Aushilfe am Kiosk sein Sackgeld verdiente. In der großen, hellen Attikawohnung über dem Dojo am Chlupfsteig fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben richtig daheim.
Nun wurde es Zeit, meine Eltern einzuweihen. Wir luden sie zum Nachtessen ein. Von der Wohnung und dem Essen waren sie begeistert. Dass ich wieder als Lektorin arbeiten wollte, freute sie ganz besonders. Gzime und mich als Paar zu sehen, fiel ihnen sichtlich schwer. Sie waren freundlich zu ihr. Im Laufe des Abends aber tauten sie auf, als sie die Kommissarin besser kennen gelernt hatten. Beim Verabschieden wünschten sie uns viel Glück und Freude in unserem gemeinsamen Heim.
Eine Woche nach meinem Einzug bei Gzime konnte der Fall Rotsock endgültig abgeschlossen werden. Ehrsam wurde auf einer Müllhalde gefunden. Er wurde mit einem Genickschuss liquidiert. Sein Mörder wurde nicht gefasst.
In einem der vielen zermürbenden Verhören gab Chris zu, seiner Mutter die Mappe mit dem Geld gegeben zu haben. Es war viel Zeit verstrichen, doch wenn Frau Schwitzgebel anfangen sollte, über ihre Verhältnisse zu leben, würden die Geprellten davon Wind bekommen und ihr Leben wäre keinen Pfifferling mehr wert.
Zähneknirschend führte Madeleine die Polizisten in den Laden, stellte die Leiter unter die großen roten Socken, deutete hinauf und sagte: »Ich habe mich schon lange gewundert, dass die hohlen Plastikfüße nie runtergeholt wurden. Nicht einmal Ehrsam der Teufel sei ihm gnädig ist draufgekommen, dass seine Moneten da drin sind. Ich bin zwar jetzt zwanzig Kilo leichter, aber da hinauf steige ich nie mehr , mein Fuß ist endlich wieder ganz in Ordnung, da will ich nichts riskieren.«
Ende