Omar übernahm meine Schicht am Mittwoch gerne, weil er dann den ganzen Tag seine geliebte Isolde an seiner Seite hatte. Für mich wäre es besser gewesen, wenigstens am Morgen zu arbeiten. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich unter Zeitdruck gewesen wäre und mich einfach auf die Zubereitung des Nachtessens konzentriert hätte. Als Erstes ging ich einkaufen. In Anbetracht meiner winzigen Küche entschied ich mich für ein einfaches Menü: Teigwaren, Rindsfilet mit Morchelsauce und Salat, danach Früchte oder Käse zum Dessert. Die verderbliche Ware verstaute ich im Kühlschrank, dann schaute ich mich in meiner Wohnung um. In meinem 3x3 Meter kleinen Schlafzimmer herrschte das reinste Chaos. Türe zu und fertig. Aber in dem wenig größeren Wohnzimmer, in Küche und Bad sah es nicht viel besser aus.
Hätte ich doch einen Zauberstab Abrakadabra und alles wäre erledigt! Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich aufzuraffen, Klarschiff zu machen. Ich hatte kalte Füße. Die roten Socken kamen mir in den Sinn. Rasch streifte ich sie über, schlüpfte in die offenen Sandalen und fühlte mich durch diese Socken auf wundersam Weise meiner Kommissarin näher. Vor mich hinlächelnd spürte ich die angenehme Wärme des Materials und machte mich mit Elan an die Arbeit. Zuerst sammelte ich die herumliegenden Kleider auf und warf sie in den Waschkorb, dann kam das Abstauben dran. Als ich den Staubsauger aus dem Kasten zerrte, fiel eine Flasche um. Ich packte sie am Hals und schaute die Beschriftung an. Vodka. Noch voll. Zum Putzen der Gurgel geeignet. Emotionslos stellte ich die Flasche neben den Allzweckreiniger. Zwei Stunden später versorgte ich den Staubsauger. Dabei fiel mein Blick auf die sagenhafte Etikette. Eine kleine Belohnung hatte ich mir redlich verdient. Im Kühlschrank stand eine Packung Orangensaft. Ich mixte mir einen Screwdriver, setzte mich auf den Küchenschemel, nippte am Glas, rauchte eine Zigarette betrachtete mein Wohnzimmer. Ein schöner Blickfang war der Blumenstrauß auf der Durchreiche. Der bereits für drei Personen gedeckte runde Tisch sah nett aus. Das mit einem blauen Leintuch belegte Bügelbrett diente als Beistelltisch. Ein fünfarmiger Kerzenständer und ein hübsches Blumengesteck gaben dem verkappten Bügeltisch eine romantische Note. Zufrieden schlürfte ich den Saft, richtete automatisch ein zweites Glas.
Anstatt nur Früchte und Käse zu offerieren, sollte ich ein feines Dessert machen. Auf einmal wirkte alle so unglaublich klein kariert. Warum zum Teufel lud ich die Kommissare nicht einfach in ein nettes Lokal ein, wo sie sich ihr Menü nach Lust und Laune aussuchen konnten. Ach was, reiß dich zusammen, Angela! Es interessiert die beiden nicht, wie feudal oder bescheiden du wohnst.
Der Pegel der Vodkaflasche stand auf halb. Ich erhob mich und ging auf den Küchenbalkon hinaus, um frische Luft zu schnappen und warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war fünf Minuten vor halb zwei. Über dem Geländer hing ein Tischtuch, das ich zum Ausschütteln darüber geworfen hatte. Ich packte zwei Zipfel, beugte mich vor und schüttelte energisch und schon flatterte das Tuch in grotesken Wellenbewegungen in den Hof hinab. Verdammt! Mit einem kräftigen Schluck direkt aus der Pulle spülte ich den Ärger hinunter. Hustend und nach Luft schnappend ging ich nach unten.
Wenig später bückte ich mich nach dem eigenwilligen Flattervogel, fiel beinahe hin. Verdrossen äugte ich mich um. Auf dem Spielplatz zum Runkelweg hin spielten ein paar Kinder Fußball. Von zwei Müttern beaufsichtigt. Niemand beachtete mich. Eine Katze kam angerannt. Unverkennbar Frau Schwitzgebels Kater!
»Tschibeli«, rief ich einschmeichelnd, »wohin willst du denn? Komm zu mir, komm!«
Schnurstracks lief er in meine Arme, sagte mrriuauau, kuschelte sich verängstigt an meine Brust. Er musste entwischt sein. Madeleine war so stolz auf ihren Rauchperserkater, pflegte sein wunderbares Fell mit Hingabe. Es glänzte seidig, keine verfilzten Stellen waren zu spüren. Der wunderbare, löwengleiche silberhelle Kragen umrahmte das dunkle breite Gesicht mit den riesigen bernsteinfarbenen Augen, die mich mit unergründlichem Blick musterten. Ich musste ihn zurückbringen, sonst könnte er verloren gehen und ich wäre schuld. Ich legte das Tischtuch auf die Bank neben der Haustür und machte mich auf den Weg. Eine Nachbarin aus der Nummer fünf legte einen Teppich auf die Stange, nickte mir lächelnd zu, bevor sie mit dem Teppichklopfer zuschlug und in einer Staubwolke verschwand. Verschreckt zuckte Tschibeli zusammen, beruhigte sich aber gleich wieder. Beim Hausteil Nummer drei der Vulkangasse war Geschirrgeklapper aus Frau Häusermanns Küche zu hören. Gleich gegenüber waren wie jeden Nachmittag die Putzkolonnen der Wildcat Bar und des Nachtlokals Blue Moon am Werk, räumten Dreck und andere Schweinereien um die Container weg.
Ein Fenster von Frau Schwitzgebels Parterrewohnung stand offen. Da musste der Schlaumeier hinausgeschlüpft sein. Durch den Hintereingang betrat ich das Haus und wankte zur Wohnungstür. Tschibeli stieß sich von meiner Brust ab, landete auf dem Türvorleger und miaute. Der unerwartete Stoß des gut sieben Kilo schweren Tiers brachte mich um mein momentan labiles Gleichgewicht. Halt suchend krallte ich meine Finger um die Türfalle, segelte Kopf voran platt auf den Bauch in den Flur. Der Kater flitzte an mir vorbei in die Wohnung. Ordinär fluchend zog ich die Beine wie ein Frosch unter den Bauch, stützte die Hände auf, da wurde ich plötzlich von zwei kräftigen Fäusten gepackt und hoch gerissen. Wie ein schlaffer Sack hing ich in der Luft. Nase an Nase mit einem Kerl. Sein Atem roch wie Gülle. Ein stechender Blick bohrte sich in meinen stieren.
»F-fui D-Deufel, du stinkst!«, hörte ich mich selber brabbeln und gleichzeitig kroch Angst in mir hoch.
»Auch noch frech werden, was! Mach keine Zicken, du besoffene Schlampe, sonst mache ich kurzen Prozess mit dir. Komm morgen wieder, wenn du nüchtern bist.«
Sein Hieb saß, traf mich am empfindlichsten Punkt. Im Stillen verfluchte ich mich selbst, musste mir die Frechheit gefallen lassen, denn ich spürte die Wirkung des Alkohols auf unangenehmste Weise, fühlte mich schlapp und wehrlos. Als er mich fallen ließ, klappte ich wie ein Sackmesser zusammen, schaute vorwurfsvoll zu meinem Widersacher hoch und erkannte den Mann.
»Hey, du bist doch Heiri Ehrsam«, plapperte ich leicht ernüchtert drauflos, »und bist mit meinem Mann Guido und meinem Schwager Erwin befreundet! Du warst auch schon freundlicher zu mir. Angelina, es ist mir eine Ehre, deine zarte Hand zu küssen, sagtest du. Und jetzt behandelst du mich so gemein. Was ist denn hier eigentlich los?«
»Verdammt, das hat mir gerade noch gefehlt«, knurrte er und wurde sich bewusst, wen er vor sich hatte. »Zu dumm, tut mir Leid für dich, Angela. Du bist zur falschen Zeit gekommen. Steh auf, geh da rein.«
Perplex starrte ich in ein kleines schwarzes Loch direkt vor meiner Nase. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass er eine Waffe auf mich richtete.
»Bist du wahnsinnig, leg das Ding weg«, krächze ich, »ich habe doch nur die entlaufene Katze zurückgebracht!«
Heiri Ehrsam ging nicht auf mein Gejammer ein und schubste mich vorwärts. Ich stolperte den Flur entlang, schrie entsetzt auf, als ich Madeleine auf der Schwelle zum Wohnzimmer liegen sah, fing gleich eine brutale Ohrfeige ein und verstummte abrupt. Hätte ich bloß das Maul nicht aufgerissen und dämlich blökend seinen Namen genannt, dann wäre ich jetzt keine Zeugin, die man nicht mehr laufen lassen kann, weil irgendeine Schweinerei im Gang ist, dachte ich entsetzt.
Madeleine lebte. Ihr Mund war zugeklebt und die Hände auf dem Rücken gefesselt. Sie gab nur einen dumpfen Laut von sich und rollte die angstvoll weit aufgerissenen Augen.
Am Montag kurz vor Mitternacht wurden die Kommissare Gzime Berisha und Kevin Stoller vom Schrillen des Telefons aus dem Schlaf gerissen. Bodo, ein mehr oder weniger zuverlässiger Informant, sagte aufgeregt, es liege eine Leiche im Areal der still gelegten Fabrik hinter dem Bahnhof und legte sofort auf.
Den beiden blieb nichts anderes übrig, als dem Hinweis nachzugehen. Vorsichtig pirschten sie sich an die von Bodo beschriebene Stelle heran, darauf bedacht, nicht in eine womöglich gestellte Falle zu tappen. Die Befürchtung war unbegründet. Der Tod des Mannes musste alle die sonst auf dem Gelände herumlümmelten oder im baufälligen Fabrikgebäude Unterschlupf fanden vertrieben haben.
Der Mann lag auf dem Rücken. Gebrochene Augen starrten in den grellen Schein der Taschenlampe. Die Wagenpapiere lauteten auf den Namen Erwin Zappa. Hatten sie Angelas Ehemann vor sich? Die angeforderte Crew traf rasch ein. Schon bald war der Tatort hell erleuchtet, Spuren wurden gesichert, Fotos gemacht und der Polizeiarzt beugte sich über das Opfer.
»Exitus etwa um 23 Uhr. Er wurde mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen, genauere Angaben nach der Obduktion. Sein Schulterhalfter ist leer, vielleicht liegt die Waffe irgendwo herum. Gute Nacht zusammen.«
Während Zappas Leiche in den Zinksarg gehoben wurde, machte sich ein Reporter an die Kommissare heran, wollte sich die Story brühwarm unter den Nagel reißen. Das Buschtelefon funktionierte offensichtlich ausgezeichnet. Sie zogen dem Geier die Würmer aus der Nase. Durch seine Offenheit erhoffte er sich Informationen aus erster Hand und wurde gesprächig. Vor zehn Minuten lief Bodo dem Reporter wie ein aufgeregtes Huhn direkt vor die Füße. Er faselte von einem Toten Rauschgiftboss, dem viel Geld und Stoff geklaut worden sei. Die Nachricht sei schon bis zu den Partnern des Toten durchgedrungen. So etwas ließen sich die rücksichtslosen Verbrecher nicht gefallen. Sofort schickten sie ihre Schergen auf die Gasse. Einige Kids hatten den Zorn der Stofflieferanten bereits zu spüren bekommen, plauderten aus, dass sie Bodo bei der Leiche gesehen hatten. Nun wollten sie ihn aufs Korn nehmen, doch der Reporter meinte, Bodo habe sich in Sicherheit gebracht.
Die Kacke war am Dampfen!
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